Die Rheinpfalz - Marktplatz Regional - vom 02.07.2008

Glühwürmchen

Die Rheinpfalz - Marktplatz Regional - vom 2.7.2008:

Ein leuchtendes Weibchen des einheimischen Großen Leuchtkäfers.

—FOTO: GNOR/HEIKO BELLMANN

Stilles Feuerwerk

Dieses Jahr ist Glühwürmchenjahr – Massenhaftes Vorkommen etwa im Bienwald – Wo sie schwirren, da ist die Natur weitgehend intakt

Von unserem Redakteur Axel Stolper

Nach Anbruch der Dunkelheit schwirren im Bienwald Heerscharen winziger Lichter. Ein Walzer, still und geisterhaft. Grünlich schimmernd schweben sie herauf aus dunklem Farn, huschen als Leuchtspur vor schwarzem Gehölz. Verglühen plötzlich wieder, während neue Glimmpunkte aufleuchten. Hier beim „Panzergraben" ist es ganz ohne Drogen psychedelisch. Professor Horst Taraschewski vom Steinfelder Storchenverein führt den Marktplatz-Redakteur durch den nächtlichen Wald zwischen Schwimmbad und Tennisanlage, wo in diesem Jahr die Glühwürmchen massenhaft ihr stimmungsvolles Fest feiern. Zu einer solchen Ausnahme-Erscheinung kommt es laut dem Biologen etwa alle zehn Jahre. Der nasse Sommer 2007 und andere Umstände hätten dazu beigetragen.

Glühwürmchen, die zu den 2000 weltweit verbreiteten Leuchtkäfer-Arten gehören, findet jeder schön, ja „romantisch". Das Gefühl des stimmigen Einklangs mit der Natur: Vielleicht hat es sogar ein tiefereren Sinn?

Für die partnersuchenden Glühwürmchen ist das Leuchten jedoch in erster Linie „Anmache", Lichtreklame in eigener Sache. Die flugunfähigen größeren Weibchen der Kleinen Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula) kriechen auf einen Halm und schalten das Licht an ihrem Hinterleib an. Heranschwirrende Männchen, die entweder schnell oder besonders lange glimmen, können bei der Damenwelt besonders gut „landen", fanden Wissenschaftler an der amerikanischen Tufts-Universität kürzlich heraus. Es gibt nämlich viel mehr männliche Single-Würmchen als weibliche. Wer keine große Leuchte ist, kann seine Gene nicht weiter geben.

Feuerkäferchen,

Ja wie ist es möglich nur,

Dass du immer glühst

Durch die ganze Sommernacht,

Ohne Hitze, ohne Rauch?

(Tanka des japanischen Kaisers

Horikawa-In (1073-1101))

Wenn es aber zwischen zweien „gefunkt" hat, stürzt sich das Männchen herab auf seine Partnerin. Dann schalten beide dezent das Licht ab. Ist die Hochzeitsnacht vorbei, hat es sich schnell ausgeglüht. Das Männchen stirbt alsbald, das Weibchen legt noch einige Dutzend Eier ins Grasgeflecht, bevor auch ihr Lebenslicht verlischt.

Früher nannte man die Glühwürmchen auch Johanniswürmer, da ihre Paarungszeit um den Johannistag, den 24. Juni, ihren Höhepunkt hat. Danach geht es noch etwa bis Mitte Juli weiter mit der Partnerschafts-Börse.

Die Erzeuger des schönen Scheins sind, bei Lichte betrachtet, braungraue Käfer von nur etwa einem Zentimeter Länge. Kein Wunder, dass die Glühwürmchen mit ihre Brautwerbung warten, bis es dunkel wird.

Aus durchsichtigen Chitin-Fenstern am Hinterleib scheint das grünlich gelbe Licht, das dem einer Leuchtdiode ähnelt. Es wird durch die kontrollierte Reaktion der Stoffe Luciferin und Luciferase erzeugt. Diese latinisierenden Namen klingen zwar nach „Teufelszeug", bedeuten aber schlicht „Lichtmacher". Wer ein massentaugliches Leuchtmittel nach dem Prinzip der Leuchtkäfer erfände, dem wäre der Nobelpreis sicher. Von einer Energieumwandlung in kaltes Licht von um die 90 Prozent können Techniker jedoch bislang nur träumen. Eine Glühbirne schafft schlappe vier Prozent Lichtausbeute, selbst Energiesparlampen schaffen nur 20 Prozent, der Rest ist Wärme. An einem Glühwürmchen hat sich noch keiner die Finger verbrannt.

Eng beieinander am Boden sitzende Glimmpunkte erweisen sich nicht selten in der Hand sogar als tote Männchen, die einer Spinne ins Netz gegangen sind. „Anscheinend war ihr Licht noch angeschaltet, als sie von der Spinne ausgesaugt wurden", vermutet Taraschewski.

Neben dem Kleinen Leuchtkäfer gibt es noch zwei weitere in Deutschland einheimische Arten. Beim Großen Leuchtkäfer (Lampyris noctiluca) leuchtet nur das Weibchen. Auch solche hat Taraschewski im Bienwald entdeckt. Beim kleinsten Vertreter der Glühwürmchen, dem Kurzflügeligen Leuchtkäfer (Phosphaenus hemipterus) sind gar beide Geschlechter flugunfähig und leuchten nur schwach.

Heuchler und Johanniswürmer

leuchten wohl,

wärmen aber nicht.

(Sprichwort)

Weltweit gibt es etwa 2000 Arten von Leuchtkäfern. Die fruchtbaren Tropen bringen die meisten davon hervor. Bei einigen Arten strahlt ein einziger Käfer so hell, dass sich in seinem Schein Marktplatz regional lesen ließe. In Südostasien blinken manche Spezies als gleichgeschaltetes Kollektiv zu Hunderten im Busch wie überkandidelter Weihnachtsschmuck.

Sex und Gefahr liegen bei Glühwürmchen eng beieinander: Räuberische amerikanische Leuchtkäfer können verschiedene Blinkprogramme nachahmen, um Männchen anderer Arten als Beute anzulocken. Die drei einheimischen Johanniswürmchen nehmen dagegen als geschlechtsreife Insekten keine Nahrung mehr zu sich.

Die Larven, die eine zwei bis dreijährige Entwicklung durchmachen, ernähren sich ausschließlich von Schnecken. Sie injizieren ihrer schleimigen Beute ein giftiges Sekret

und haben an ihr dann einige Tage lang zu kauen.

Die Glühwürmchenlarven wären daher des Gärtners Freund, wenn nicht die meisten Grünanlagen für die Tiere ungeeignet wären. „Die Leuchtkäfer brauchen als Lebensraum eine abwechslungsreiche Mosaik-Landschaft mit warmen, feuchten Zonen und totem Holz", erläutert Taraschewski. Der Steinfelder Storchenverein kümmert sich darum, dass solche Reservate der Artenvielfalt gefördert werden. Die Randgebiete des Bienwalds scheinen jedenfalls ideale Bedingungen für Leuchtkäfer zu bieten.

Japanische Frauen sammeln Glühwürmchen in einer Schachtel. Gemälde von Utagawa Kuniyoshi

(1798-1861). —REPRO:PRIVAT

Die Klimaerwärmung müsste diesen Insekten eigentlich entgegenkommen, vermutet Taraschewski. „Ich rechne damit, dass das italienische Glühwürmchen, das unserem ähnelt, bald hier einwandern wird. In der Südschweiz ist es schon angekommen", so der Biologe.

Die Eidgenossen zollen den fliegenden Funken bereits die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. In Zürich wurde 2005 den Glühwürmchen der Stadtparks zu Ehren ein Kultur-Festival gewidmet. Die Briten haben den „Fireflies" zusammen mit anderen Tieren im Londoner Hyde Park gar ein Denkmal gesetzt. Denn sie haben den englischen Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg das Lesen der Feldpost im Schützengraben ermöglicht.

Wenn abends hell leuchten

Die Glühwürmchen im Garten,

Kannst Du tags drauf

Schönes Wetter erwarten.

(Bauernregel)

Ähnlich praktische Bedeutung maß die traditionelle deutsche Landbevölkerung den Käfern bei, indem sie sie in Bauernregeln als leuchtende Wettervorhersage beschreibt: „Geben die Johanniswürmchen ungewöhnlich viel Licht, / So ist schönes Wetter in Sicht" oder „Wenn die Johanniswürmer glänzen, darfst Du richten deine Sensen." Putzig bis betulich wird das Leuchtwesen in entsexualisierter Form dagegen oft in der Dichtung eingesetzt. In einer Fabel Gottfried Kellers nehmen die

Schau in meiner Hand

ist der Feuerkäfer kalt,

Mag er noch so glühn.

(Haiku von Masaoka Shiki

(1866-1902))

Glühwürmchen den Sternen die Arbeit ab, die Erde zu beleuchten. In einer Ballade Adolf Glaßbrenners heiratet „Prinz Glühwurm" einen Marienkäfer. Und in einem Märchen Hans Christian Andersens leuchten gar „sechs Johanniswürmer so gut sie konnten", und dazu noch bei einer Schneckenhochzeit!

Robert Reinicks (1805-1852) fabelartige Ballade „Der verliebte Maikäfer" lässt den Leuchtkäfer als Laternenmann auftreten, der zur Geliebten „Fliege" führen soll. Noch Paul Linckes Schlager aus der Zeit um 1900 „Glühwürmchen, Glühwürmchen flimmre / (...) / Gib uns schützend dein Geleit / Zur Liebesseligkeit" führt diese Tradition schnulziger Naturdeutung fort.

Heutzutage besingen offenbar nur noch wenige die Glühwürmchen. Für die moderne Liebeslyrik ist auch die Verteilung der Geschlechterrollen bei den Leuchtkäfern schlicht veraltet. Heute möchte kein Mädchen warten, bis von selbst ein glühender Werber heranschwirrt.

Vielleicht liegt die Glühwürmchen-Armut der Gegenwartsliteratur aber schlicht und einfach darin begründet, dass sich die Tierchen mit dem Rückgang geeigneter Lebensräume hierzulande rar gemacht haben.

Als Taraschewskis „Glühwürmchen-

Expedition" für die Zeitung um 22.30 Uhr beim Auto am Bienwaldrand angekommen ist, schwirren die Lichtchen schon etwas müder auf der Wiese um den nahe gelegenen Teich des Storchenvereins umher. Doch auch Glühwürmchen sind mal ausgepowert. Dennoch gelten sie in China als Symbole des Fleißes, weil Gelehrte früherer Jahrhunderte sie in Papierlaternen gesteckt haben sollen, um nachts studieren zu können. „So gegen elf haben die Leuchkäfer dann aber ihr Pulver verschossen", sagt Taraschewski, der deswegen auch das Freiluft-Studium für heute beendet.

In Japan misst man dem Leuchtkäferchen traditionell die vielleicht „nachhaltigste" Bedeutung bei. In den vierzeiligen „Haiku"-Gedichten steht die harmonische Wechselwirkung von Mensch und Natur sowie der Bezug zu den Jahreszeiten im Mittelpunkt einer lyrischen Betrachtung. Glühwürmchen-Verse haben hier eine jahrhundertelange Tradition. Basho (1644-1694), der Goethe der Haiku-Dichtung, schrieb über eine japanische Leuchtkäfer-Art folgenden besinnlichen Dreizeiler: „Sieht man ihn bei Tag, / Ist des Glühwurms Nacken nichts / Als ein roter Fleck." Das japanische Wort für Glühwürmchen, „Hotaru", bedeutet „Einklang zwischen Mensch und Natur". Das ist vielleicht zukunftsweisend auch in Europa. Was für Bauern und Liebende einst „grünes Licht" bedeutete, kann heute für den naturbewussten Menschen ein Hoffnungsschimmer sein.

Heute Wanderung

—Heute Abend gibt es eine „Glühwürmchen-Sternwanderung“ für Kinder, ihre Eltern und Freunde mit

Horst Taraschewski und Thomas Schneider vom Storchenverein Steinfeld.

Treffpunkt: 22 Uhr am Waldparkplatz

am Steinfelder Schwimmbad.

—Die Teilnehmer erfahren bei diesem

stimmungsvollen etwa einstündigen

Spaziergang Interessantes über heimische

Leuchtkäfer. Infos bei Thomas Schneider, Steinfeld, Telefon 06340 918596.

Das Weibchen des Großen Leuchtkäfers besitzt keine Flügel. Es leuchtet am Boden sitzend den heran-schwirrenden Männchen entgegen, die ihrerseits

ihre „Lichtreklame“ eingeschaltet haben. —FOTO:TARASCHEWSKI

Ein flugfähiges Männchen der Art Kleiner Leuchtkäfer. Die biologische Reaktion hinter den durchsichtigen Chitinplättchen am Hinterleib ist verantwortlich

für den nächtlichen Lichterzauber. —FOTO:TARASCHEWSKI